Seit nunmehr vier Jahrzehnten arbeiten die Forscher vom Institut für
Bodenmechanik und Grundbau daran Bauwerke auf einen stabilen Grund zu
stellen oder auch Abfalldeponien zu sichern. Das runde Jubiläum feiern
die Grazer Bodenmechaniker gemeinsam mit ihren Kollegen der beiden
weiteren geotechnischen Institute der TU Graz am Mittwoch, den
14.4.2004, in einem Wahrzeichen von Graz 2003, das es ohne die Mitarbeit
der engagierten Ingenieure der „Gruppe Geotechnik Graz“ wohl nicht in
dieser Form gäbe: Das universitäre Geburtstagsfest findet im Grazer Dom
im Berg statt. An den beiden Folgetagen veranstalten die Grazer
Geotechniker das über die Landesgrenzen hinaus bekannte „Christian Veder
Kolloquium“.
Baggern und Bohren: Bodenmechanik passiert unter der Erde
Aus gutem Grund ziert ein kleiner Maulwurf als Logo das Institut: Die
Arbeit des Bodenmechanikers findet ausschließlich unter der Erde statt.
„Grundbau ist die Lehre vom Bauen im Boden, Bodenmechanik die
theoretische Grundlage hierfür“, erklärt Institutsvorstand Stephan
Semprich. Bagger und Bohrer helfen Bodenproben ans Tageslicht zu
befördern. „Pläne sind dabei die Sprache der Bauingenieure, die
international verstanden wird“, fährt der Institutsleiter fort.
Entnommene Bodenproben werden im institutseigenen Geotechnischen
Labor geprüft und so Beanspruchung, Verformung und damit verbunden das
Sicherheitsniveau von Bauwerken des Grundbaus ermittelt. „Gerade weil
die Arbeit des Bodenmechanikers nicht sichtbar unter der Erde passiert,
nehmen Methoden der Qualitätssicherung einen besonderen Stellenwert ein:
Der Pfahl muss tragen, die Deponie muss sicher sein“, erläutert Otto
Henögl, der das Geotechnische Labor leitet. Was logisch klingt, ist oft
lebenswichtig und wird entweder gleich vor Ort oder im Labor an mitunter
von den Forschern selbst konstruierten Apparaturen untersucht. Anders
als in anderen Ingenieurwissenschaften üblich, entwickelten die
Bodenmechaniker ihre Disziplin nicht als mathematisch geschlossene
Lösung: Zahlreiche Zusammenhänge im Grundbau stellten Wissenschafter
anhand von Erfahrungswerten her. Aber auch Modellierung und Simulation -
viel versprechende Werkzeuge der modernen Ingenieurwissenschaften -
haben längst Einzug bei den Bauingenieuren gefunden: Eine eigene
Arbeitsgruppe „Numerische Geotechnik“ unter der Leitung von Helmut
Schweiger bildet Problemstellungen der Bodenmechanik und des Grundbaus
am Bildschirm ab, deren Lösungen zunehmend in der Praxis Verwendung finden.
„Die drei Standbeine unserer Arbeit - Berechnungen, Erfahrung und
Versuchswesen - verbessern wir ständig durch intensive Forschung“, fasst
Henögl zusammen.
Berühmer Institutsbegründer: Christian Veder und die
Schlitzwandbauweise
Auf Initiative des Wasserbauexperten und TU-Altrektors Hermann Grengg
beauftragte die damalige „Technische Hochschule Graz“ den Bauingenieur
Christian Veder 1964 ein eigenes Institut für „Bodenmechanik,
Felsmechanik und Grundbau“ aufzubauen. Der 1907 in Wien geborene Veder
hatte in Mailand das erste leistungsfähige Erdbaulaboratorium
eingerichtet und durch seine innovativen Konzepte Aufmerksamkeit erregt.
Der engagierte Wissenschafter gilt als Begründer und Fachmann der
Bentonit- Bohrpfahlwand und der Schlitzwandbauweise im Grundbau. „Wenn
hohe Lasten in den Boden abgetragen werden wie etwa bei Hochhäusern oder
wenn Bodenschichten wenig tragfähig sind, dann kommen Tiefgründungen zum
Einsatz“, erklärt der heutige Institutsvorstand, Stephan Semprich, das
Grundkonzept. „Dabei werden Betonpfähle in den Boden gegossen, die die
Kräfte in tiefer liegende, tragfähigere Schichten leiten.“ Als Stützflüssigkeit
verwendet wird hierzu Bentonit, ein Gemisch aus Wasser und Ton. In der
Folge entwickelte Institutsvater Veder das Verfahren zur so genannten
„Schlitzwandbauweise“ weiter, für die der Bauingenieur weltweite
Bekanntheit erlangte. „Beim Bau der U-Bahnen von Mailand und Wien, aber
auch bei der Errichtung des UNO-Centers in Wien kam Veders
Schlitzwandtechnik, die heute aus dem modernen Tiefbau nicht mehr
wegzudenken ist, zum Einsatz“, erzählt Semprich stolz. Zahlreiche
international bedeutende Bauwerke wurden erst durch die Vorteile des
neuen Verfahrens möglich. So kam die Schlitzwandtechnik auch beim Bau
des World Trade Centers zum Einsatz, wo Veder als Berater wirkte: Mit
mehrfach verankerten Schlitzwänden stützte er die Baugrube und baute
eine „Badewanne“ für die Zwillingstürme. Innerhalb dieser in der
Fachliteratur tatsächlich häufig als „Bathtub“ bezeichneten, über einen
Kilometer langen Baugrubenumschließung konnte so, geschützt vor
Wassereinbrüchen aus dem nahen Hudson-River, das Fundament für das WTC
errichtet werden. Die fatalen Anschläge vom 11. September 2001 überstand
Veders Betonwanne nahezu unbeschadet - ein entscheidender Vorteil bei
den Aufräumarbeiten nach dem Unglück. Zahlreiche bedeutende Bauwerke
stehen Dank Veders Technologie auf einem stabilen Fundament. Auch für
die Sanierung des Schiefen Turms von Pisa entwickelte Veder ein Konzept,
verstarb aber 1984 vor dessen Realisierung 77-jährig in Wien.
Kooperation statt Konkurrenz: Die "Gruppe Geotechnik Graz"
Schon Karl von Terzaghi, der als Begründer der modernen Bodenmechanik
gilt, wirkte an der TU Graz. Friedrich Mohs, der die nach ihm benannte
Mohs’sche Härteskala zur Bestimmung von Mineralien entwickelte, ebenso.
Die TU Graz kann also auf große Erfolge und eine lange Tradition im
Bereich der Geotechnik verweisen. Um mit vereinten Kräften die führende
Rolle in diesem Fachbereich national und international weiter
auszubauen, schlossen sich vor zehn Jahren die drei geotechnischen
Institute der TU Graz zusammen: Als „Gruppe Geotechnik Graz“ leben
das Institut für Bodenmechanik und Grundbau, das Institut für
Felsmechanik und Tunnelbau und das Institut für Technische
Geologie und Angewandte Mineralogie seither das Prinzip „Kooperation
statt Konkurrenz“. Ingenieurgeologie, Mineralogie, Felsbau und Grundbau
auf höchstem Niveau zählen zu den Kernkompetenzen dieses
interdisziplinären Forscherteams. „Die enge Zusammenarbeit
fachverwandter Institute in der Lehre, die Durchführung gemeinsamer
03 Forschungsprojekte sowie die Organisation von Fachveranstaltungen und
Workshops machen das Besondere der Gruppe Geotechnik Graz aus“,
berichtet Wulf Schubert, Vorstand des Instituts für Felsmechanik und
Tunnelbau, stolz. Um der gestiegenen Bedeutung der Geotechnik im
modernen Tiefbau Rechnung zu tragen, wurde Schuberts Institut -
ursprünglich Teil des Instituts für Bodenmechanik, Felsmechanik und
Grundbau - 1992 in die Selbstständigkeit entlassen, ging aber fachlich
nie gänzlich getrennte Wege. Auf eine besonders lange Geschichte kann
das Institut für Technische Geologie und Angewandte Mineralogie
verweisen: Es zählte bereits zu den Gründungsinstituten des einstigen
Joanneums, aus dem später die TU Graz hervorging.
Tiefgründungen als Thema: Die Jubiläumsveranstaltung und das
Christian Veder Koloquium 2004
Gemeinsam erlangte die Gruppe Geotechnik Graz über die Landesgrenzen
Bekanntheit. Die geologischen Arbeiten für den Plabutschtunnel oder die
Realisierung der Tiefgarage des Großkaufhauses Kastner+Öhler sind
prominente steirische Projektbeispiele: Im Herzen des Weltkulturerbes
Grazer Altstadt, zwischen Mur und Schlossberg, inmitten von Wasser und
Fels, trugen die Forscher der TU Graz auf einer der wohl spektakulärsten
Baustellen Österreichs entscheidend zum Gelingen der fünfgeschossigen
Tiefgarage bei. Gemeinsam feiern die Grazer Geotechnik-Institute auch
den 40. Geburtstag des Instituts für Bodenmechanik und Grundbau: Im „Dom
im Berg“, einem Wahrzeichen der Kulturhauptstadt Graz 2003, das mit
Beratung und geologischen Gutachten der Gruppe Geotechnik Graz
realisiert werden konnte, präsentieren die Forscher am Mittwoch, dem 14.
April 2004, ihre Arbeit. Einen Höhepunkt der Festveranstaltung stellt
der Beitrag des New Yorkers Jan Cermak dar: Die geotechnischen Probleme
beim Bau des World Trade Centers vor rund 40 Jahren und die
Aufräumarbeiten nach dem 11. September sind Gegenstand seines Vortrags.
Tiefgründungen sind heuer auch das Thema des von der Gruppe Geotechnik
Graz gemeinsam veranstalteten Christian Veder Kolloquiums, das im
Anschluss an die Jubiläumsfeier am 15. und 16. April 2004 stattfi ndet.
Seit dem Ableben ihres Namensgebers 1984 bietet die Tagung, die
federführend vom Leiter der Arbeitsgruppe „Numerische Geotechnik“,
Helmut Schweiger, organisiert wird, jährlich einen umfassenden Überblick
zu ausgewählten Problemstellungen des Grundbaus. Neben Böschungen und
Erddämmen, Sicherheit von Geländesprüngen, Hohlraumbauten, Deponien und
Altlastsanierung zählen Gründungen zu den Hauptaufgaben des Grundbaus.
Die Grundlagen dieser klassischen Aufgabe des Geotechnikers fi nden sich
in jedem bauingenieurwissenschaftlichen Studienplan, zahlreiche
Neuentwicklungen der letzten Jahre gaben Anlass zur Themenwahl.
Rückfragen:
Mag. Alice Senarclens de Grancy
Email: alice.grancy@tugraz.at
Tel.: 0316 873 6006
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